Tabu-Gebiet Melbbad: Offener Brief an Katja Dörner

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,

wir sehen Ihre Partei Die GRÜNEN nach der Kommunalwahl besonders in der Verantwortung, Bauprojekte auch im Hinblick auf den Einfluss auf das Bonner Stadtklima zu beurteilen. Die Forderung #keingradwaermer ist zurecht immer häufiger zu hören. In Bonn ist der Klimanotstand ausgerufen.

Daher möchten wir Sie, Frau Oberbürgermeisterin, um eine Stellungnahme zu der geplanten Bebauung im Melbbad bitten – was ist Ihre Empfehlung für den Bürgerentscheid aus Klimaschutzgründen? Nehmen Sie die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie ZURES [1] ernst und sehen Sie diese als gute Leitlinie um in Bonn klimabewusst zu bauen? Sollte diese aktuelle wissenschaftliche Studie nicht Vorzug vor einem vom Bauherrn finanzierten privaten Gutachten bekommen, welches Ungereimtheiten aufweist und durch keinerlei Kontrollmessungen gestützt wird?

Hierzu möchten wir folgende Studien, Stellungnahmen und eine fachliche Kritik an dem seit kurzem online veröffentlichten Klimagutachten zu bedenken geben:

Der Bau des Wohnblocks steht besonders im Widerspruch zum 2019 ausgerufenem Klimanotstand. Die Sommer werden immer heißer, doch die Frischluftzufuhr wird durch gedankenloses Bauen mitten in eine wesentliche Kaltluftschneise massiv gestört. Dies zeigen auch die Klimakarten (offizielle Karte der Stadt Bonn), die von einer Bebauung an dieser Stelle absolut abraten:

Tabu-Gebiet Melbbad: Offener Brief an Katja Dörner

Der Umriss des geplanten Gebäudes (rot) ragt weit in ein dunkelgrünes Gebiet, das in der Planungshinweiskarte der Stadt Bonn als Bereich mit „sehr hoher Bioklimatischer Bedeutung“ ausgewiesen wird. „Bauliche Eingriffe sollten unterlassen werden.“, so die Kartenlegende [2]. Das Projekt widerspricht also der offiziellen Klimastrategie von Stadt und Rat.

Auch der BUND Bonn lehnt das geplante Wohnungsprojekt im Melbbad aus stadtökologischen Gesichtspunkten ab. Eine derartige massive Bebauung im Melbtal ist kontraproduktiv für den Natur- und Umweltschutz in Bonn – und ein weiterer Verstoß gegen die eigenen Lippenbekenntnisse der Stadtvorderen. (…)“ [3]

Deutscher Wetterdienst (DWD) Melbtal  und  Godesberger Bach sind  wesentliche  Kaltluftbahnen,  die die  Kaltluftzufuhr  aus  den umgebenden Freiflächen weiterführen“ [4]

Dr. Karsten Brandt (Meteorologe, Wetterexperte von Radio Bonn RS): Diese Kaltluftflüsse sind absolut tabu. Die müssen wir schützen, da machen wir nichts. Da bauen wir auch nicht mehr.“[5]

Christa Uebel-Lepartz (Geographin mit dem Spezialgebiet Stadtklima) zu dem seit kurzem online stehenden Klimagutachten: „Nun gibt es seit April 2020 wegen nachteiliger Ergebnisse der Verschattungsstudie eine neue Bauvoranfrage […]. Was die Verschattung mildert, wird die Kaltluftströme eindeutig stärker behindern. […] Leider hat der Gutachter diese Planungsvariante in der Überarbeitung seines ersten Gutachtens nicht mehr berücksichtigt, obwohl er davon Kenntnis hatte. […] Der DWD sagt grundsätzlich, dass jede Planvariante klimagutachtlich geprüft werden muss.“. Die Analyse von Frau Uebel-Lepartz ist im Anhang [6].

Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung:

Frau Christa Uebel-Lepartz (Geographin mit dem Spezialgebiet Stadtklima) zur Kritik am Klimagutachten  Tel.: 0228-651557

Dr. Kai Schröder (i.A. der Initiative Rettet-das-Melbbad): 0151-26125353

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Kai Schröder
(i.A. der Initiative Rettet-das-Melbbad)

Nachweise und ausführliche Stellungnahmen:

[1] Von September 2016 bis August 2019 beteiligte sich die Bundesstadt Bonn am Verbundvorhaben „ZURES“ (Zukunftsorientierte Vulnerabilitäts- und Risikoanalysen als Instrument zur Förderung der Resilienz von Städten und urbanen Infrastrukturen). Im Rahmen des Projektes wurden für Bonn insbesondere aktuelle Planungsgrundlagen zum Thema Stadtklima (Hitze) entwickelt: (https://www.bonn.de/themen-entdecken/umwelt-natur/projekte-zur-klimaanpassung.php)

[2] https://www.landschaftsschutz-im-wingert.de/planungshinweiskarten-poppelsdorf/503/#gallery-4

Tabu-Gebiet Melbbad: Offener Brief an Katja Dörner

[3] Stellungnahme des BUND

„Der BUND Bonn lehnt das geplante Wohnungsprojekt im Melbbad aus stadtökologischen Gesichtspunkten ab. Eine derartige massive Bebauung im Melbtal ist kontraproduktiv für den Natur- und Umweltschutz in Bonn – und ein weiterer Verstoß gegen die eigenen Lippenbekenntnisse der Stadtvorderen. Die drei großen Ratsfraktionen, die sich gegen das Bürgerbegehren gestellt haben und die (in anderer Konstellation) auch die kommende Ratsperiode bestimmen werden, betonen, es käme unbedingt auf die Schaffung zusätzlichen Wohnraumes an. Dabei geht es vorrangig und zuallererst darum, überhaupt die Stadt schon allein für die bereits hier Wohnenden BEWOHNBAR zu halten! Angesichts des bisherigen globalen Versagens in der Klimapolitik (Erreichen des unter 2°-Ziels bisher in weiter Ferne) muss jede Chance ergriffen werden, Klimafolgen zu begrenzen!“ Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. Bonn

[4] 2018 wurde außerdem, eine Klimaanalyse (DS 1811416) für Bonn veröffentlicht. Diese listet fünf wesentliche Erkenntnisse einer Studie des Deutschen Wetterdienstes zur Bonner Stadtplanung im Hinblick auf Klima auf (Seite 15), von denen wir eine zitiert haben.

[5] Podcast – Zitat ab 14:02 min; Melbbad-Thema ab 10:15 min

[6] Christa Uebel-Lepartz:

Lokalklimatische Auswirkungen der geplanten Melbbadbebauung – Warum man im Melbbad nicht bauen sollte!

In der Diskussion um die lokalklimatischen Auswirkungen der geplanten Melbbadbebauung sucht man vergeblich nach Hinweisen auf die umfassende und wissenschaftlich fundierte Stadtklimaanalyse (ZURES), die von der GEO-NET Consulting GmbH (Hannover) im Auftrag der Stadt Bonn zwischen 2018 und 2020 fertiggestellt wurde. Sie gilt als Fortführung des Stadt-Klimagutachtens des Deutschen Wetterdienstes (DWD) von 1991.
Nur wenige Städte in Deutschland verfügen über derart hochaufgelöste Ergebniskarten zur bioklimatischen Situation und zur Frisch- und Kaltluftsituation am Tag und in der Nacht für ein gesamtes Stadtgebiet.
Da ausreichend detaillierte Eingangsdaten über Temperatur, Luftfeuchte, Windrichtung und -stärke,
Relief und Landnutzung (die beiden letzteren in 1x1m Auflösung) zur Verfügung standen, konnten räumlich hochaufgelöste Berechnungen mit dem Modell FITNAH 3D auf mikroskaliger Ebene in einem 10x10m Raster durchgeführt werden. Ein Glücksfall für Bonn, also!
Denn die klimatischen Funktionszusammenhänge wurden anschließend in den ‚Synthesekarten‘ Planungshinweiskarte Tag und Nacht dargestellt –  mit klar formulierten Planungshinweisen zu einer klimagerechten städtebaulichen Entwicklung der Stadt Bonn, adressiert an die Politiker und
beteiligten Fachämter (z.B. Planungs- und Umweltamt) der Stadtverwaltung.

Das Melbtal wird in den Klimaanalysekarten und der Planungshinweiskarte ‚Nacht‘ als bedeutende Kaltluftleitbahn und – wegen der großen Vegetationsflächen – auch als Kaltluftproduktionsgebiet  ausgewiesen. Das Melbbad ist Teil dieser Kaltluftleitbahn.
In der Legende der Planungshinweiskarte (Nachtsituation) wird der dunkelgrün markierte Bereich als ‚Grünfläche mit sehr hoher bioklimatischer Bedeutung‘bewertet, in der bauliche Eingriffe ( auch als Randbebauung) unterlassen werden sollten; dass ferner unmittelbar angrenzende Siedlungsgebiete (hier als hellblaue Siedlungsflächen mit sehr günstiger bioklimatischer Situation im Kaltlufteinwirkbereich gekennzeichnet) enorm von ihrer klimaökologischen Wirkung profitierten und daher gut durchströmbar für die Kaltluft bleiben sollten. Außerdem sollte der Vegetationsanteil auf diesen Siedlungsflächen erhalten bleiben.
Die Planungshinweise stellen also im Melbtal die Ampel für Bebauung auf Rot.

Trotzdem
will die VEBOWAG, eine mehrheitlich städtische Wohnbau-Aktiengesellschaft,
dort bauen, und zwar direkt im Melbbad: eine gigantische Riegelbebauung 114m lang, bis 22m hoch und 16/20 m breit, ca. 16 m vom Schwimmbeckenrand entfernt, nahezu im Anschluss an die bestehende Hochhausbebauung – eine Bausünde der 60er Jahre.
Die geplante Bebauung ragt zu einem großen Teil in den Bereich der Grünfläche mit sehr hoher bioklimatischer Bedeutung hinein.

Ein vom Investor und Bauherrn VEBOWAG beauftragtes erstes Detail-Kaltluftgutachten einesprivaten Klimagutachters, der in Bonn bereits für mehrere Gutachterfirmen im Rahmen diverser Wohnbauprojekte tätig war, musste aufgrund fehlerhafter und unvollständiger Darstellungen sowie mangelnder Genauigkeit und Aktualität der Eingabedaten zur Landnutzung in das Rechenmodell überarbeitet werden.
Die überarbeitete Fassung vom 28.02.2020, die seitens der VEBOWAG erst vor kurzem ins Netz gestellt wurde, zeigt bereits nach den veränderten Eingaben der Landnutzung (jetzt ‚Realnutzung‘, die z.B. die Wasserflächen des Schwimmbades berücksichtigt), dass sich die negativen Auswirkungen des Bauvorhabens auf die Kaltluftströme im westlichen Bereich des Melbtales und der Trierer Straße sowie der angrenzenden Wohnsiedlungsbereiche erheblich verstärken und auch räumlich ausdehnen würden (Vergleich der Anlage 21, erste Version und Anlage 24, überarbeitete Version des Gutachtens).

Gleichwohl bleibt der Gutachter bei seiner verharmlosenden zusammenfassenden Bewertung, „dass aus der Realisierung des Planvorhabens keine Schwächung der Frisch, bzw. Kaltluftschneise des Melbtales resultiert“.

Nun basiert die numerische Modellrechnung des Gutachters auf einem Kaltluftmodell (KLAM 21), das vom Deutschen Wetterdienst (DWD) ursprünglich für mesoskalige Modellrechnungen (mit Rastergrößen von 20x20m, 50x50m oder mehr) für sehr viel größere Untersuchungsräume  entwickelt wurde. Allein die äußeren Untersuchungsbereiche des vorliegenden  Kaltluftgutachtens würden mit ihrer 22,5 x 22,5m Rasterung dieser Größenordnung entsprechen. Für ein Detail-Kaltluftgutachten erscheint die 4,5 x4,5m Rasterung im Nestinggebiet zu unscharf.

Der Gutachter hatte bereits 2015 für ein Bauvorhaben im nahe gelegenen Wingert, am Ausgang des Melbtales, ein Kaltluftgutachten erstellt, und zwar auf der Basis des Kaltluftmodells KALAS G2, mit einer Auflösung im inneren Untersuchungsraum von 2x2m.
Da sich das Nestinggebiet zum Melbbad und der innere Untersuchungsraum Im Wingert am Wingert überlappen, müssten dort ähnliche Ergebnisse zur Intensität des Kaltluftdurchflusses in beiden Gutachten berechnet worden sein. Stattdessen gibt es eklatante Abweichungen in der berechneten Kaltluftvolumenstromdichte für ein und denselben Bereich des Wingert sowie benachbarter Bereiche östlich des Dani-Heimes.
Dies war übrigens der Auslöser seitens des Umweltamtes den DWD um eine Einschätzung der beiden Kaltluftgutachten zu bitten und nur so lassen sich die relativierenden Aussagen des DWD zur begrenzten Aussagekraft numerischer Rechenmodelle verstehen (Einschätzung, Punkt 2).

Der Gutachter wurde auf der Bürgerinformationsveranstaltung zur Melbbadbebauung im Sommer 2020 auf die eklatanten Ergebnisabweichungen angesprochen: Er habe halt zwei unterschiedliche Kaltluftmodelle verwendet. Das erkläre die Unterschiede.
Bei der Arbeit mit mikroskaligen Klimamodellen gibt es offensichtlich „Stellschrauben“, mittels derer Ergebnisse beeinflusst werden können. Das fängt bei der numerischen Gleichung und der Größe der gewählten Auflösung bei einem verwendeten Klimamodell an sowie der Qualität der Parameter (Geländeformen, Landnutzung), die in die Gleichungen der Modellrechnungen eingegeben werden, und es hört bei Gebäudegeometrien auf, die nicht dem aktuellen Planungsstand entsprechen.

Nun gibt es seit April 2020 wegen nachteiliger Ergebnisse der Verschattungsstudie eine neue Bauvoranfrage mit einer verschobenen Längsachse des Baukörpers und veränderten Gebäudegeometrien. Was die Verschattung mildert, wird die Kaltluftströme eindeutig stärker behindern: Die nunmehr geplante Drehung der Längsachse des Gebäuderiegels um ca. 5° zur Trierer Straße hin wird den Kaltluftstrom des Melbtales stärker in Richtung des Osthanges ablenken und nicht mehr durch den eh zu schmalen Durchlass zwischen nördlichem Neubauteil und Hochhaus auf die Trierer Straße talabwärts leiten.

(Der DWD stellt in seiner Einschätzung (Punkt 4 und Kartenanhang)) gerade diese Engstelle in den Fokus, wo er offensichtlich die Gefahr einer wesentlichen Behinderung der Kaltluftflüsse sieht, und er macht mehrere alternative Vorschläge zur Bebauung.)

Weitere bauliche Veränderungen der Neuplanung:

Das 4m breite Lärmschutzvordach soll laut Planskizzen offensichtlich unterbaut werden, was den Baukörper verbreitert und als Vorsprung auf der 0-Ebene, zusammen mit den zurückversetzten Gebäudeteilen und Nischen der obersten Geschosse (wobei die Bauhöhe zur Trierer Straße nahezu unverändert bleibt) die Rauigkeit des Gebäudes erheblich vergrößern und die Kaltluftströme hemmen würde.
Leider hat der Gutachter diese Planungsvariante in der Überarbeitung seines ersten Gutachtens nicht mehr berücksichtigt, obwohl er davon Kenntnis hatte. Dazu schreibt er in der überarbeiteten Fassung seines Gutachtens vom 28.02.2020, S. 5: „ Zwischenzeitlich erfolgte eine Planungsaktualisierung, die eine Reduzierung des Gebäudevolumens vorsieht. Die hier durchgeführten Berechnungen stellen somit ein  Worst-Case -Szenario  für die mögliche Beeinflussung der Kaltluftströmung des Melbtales dar“.

Das Gegenteil davon wird der Fall sein. Daher muss eine neue Modellberechnung erfolgen.
Der DWD sagt grundsätzlich, dass jede Planvariante klimagutachtlich geprüft werden muss. An dieser Stelle fragt es sich, ob nicht ein unabhängiger Gutachter damit beauftragt werden sollte.

Der DWD empfiehlt auch, ergänzende Messungen vor Ort durchzuführen, um die Kaltluftverhältnisse im Untersuchungsgebiet zu überprüfen und die Modellergebnisse zu verifizieren (Einschätzung vom 25.06.20, Punkt 6). Auf Nachfrage bot er an, derartige Messungen seitens des DWD unentgeltlich für die Stadt Bonn durchzuführen.

Wird die Stadt Bonn dieses Angebot annehmen?